Content mit Fingerspitzengefühl

Sensible Sprache ist im digitalen Zeitalter wichtiger denn je. Egal ob im Journalismus, der klassischen Werbung oder im Content Marketing: Wer fairen, nachhaltigen Content produzieren will, muss mit Fingerspitzen-gefühl vorgehen. Wir beschäftigen uns mit Negativbeispielen aus Presse und Werbung und fassen zusammen, warum’s eben ned wuascht is, wie man’s sogt.

Österreich: Land der Femizide

Zwölf Frauen wurden seit Jahresbeginn in Österreich ermordet. Eine gesellschaftliche Problematik, hinter der jedoch weit mehr steckt, als individuelle Beziehungsdramen und tragische Schicksale. Sieht man sich die österreichische Berichterstattung zu Femiziden genauer an, offenbart sich schnell ein Teil des komplexen Problems.

Übergriffe als Teil der weiblichen Lebensrealität 

Österreich war 2017 das einzige Land in der EU, in dem mehr Frauen ermordet wurden als Männer. Der aktuellen Eurostat-Erhebung zufolge waren in diesem Jahr 27 von 48 Mordopfern weiblich. Eine Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zeigt außerdem, dass jede fünfte Österreicherin ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt ist. Frauenhäuser und Projekte zum Gewaltschutz bekommen hierzulande jedoch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit, geschweige denn finanzielle Unterstützung. Seit Jahren beklagen Frauenschutzorganisationen den fahrlässigen Umgang der Behörden mit Anzeigen von Straftaten wie gefährlichen Drohungen, Stalking, häuslicher Gewalt u.Ä.

Gewalt an Frauen: Sprache schafft Wirklichkeit

Die Ursachen für physische Gewalt sind komplex – Sprache spielt dabei jedoch meist eine zentrale Rolle. Denn: körperlicher Gewalt geht in der Regel psychische Gewalt voran. Und diese manifestiert sich im ersten Schritt auf einer verbalen Ebene. „Gewalt ist nicht stumm. Sie wird meistens durch Sprache begleitet: Sie wird geplant und beschlossen, erzählt und kommentiert, gerechtfertigt oder legitimiert. Und darüber hinaus wird sie durch die Sprache und in der Sprache vollzogen (…)”, schreibt der Philosoph Pascal Delhoms.

Die Pyramid of Sexual Violence des Sexual Assault Centre der University of Alberta illustriert, wo sexuelle Gewalt bzw. Gewalt an Frauen beginnt: Slut-Shaming, Body-Shaming, Witze über Vergewaltigungen, die Bedienung von Rollenstereotypen…das sind nur einige sprachliche Wegbereiter für körperliche Übergriffe. Ein eindringliches Beispiel: Der Wiener Bierwirt, medial bekannt durch die verbale Belästigung der Grünen-Politikerin Sigrid Maurer, der aktuell im dringenden Verdacht steht, seine Ex-Partnerin ermordet zu haben (Anm: Es gilt die Unschuldsvermutung).

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Quelle: University of Alberta

Ehedrama, Sexattacke, Verbrechen aus Leidenschaft

…Schilderungen, die an Titel von 1€-Erotik-Romanen an der Supermarktkasse erinnern, werden in einschlägigen österreichischen Medien als reißerische Aufmacher für die Berichterstattung über Femizide benutzt.

Warum das so gefährlich ist? Wie gesellschaftliche Probleme wahrgenommen werden, hängt stark von ihrer medialen Aufbereitung ab. Berichten Zeitungen also von Beziehungsdramen, Sexverbrechen oder Sexattacken, erfolgt nicht nur eine „Erotisierung der Verbrechen“ (Karin Wetschanow, 2003), den Taten wird außerdem eine theatrale, unterhaltsame Ebene verliehen. Leser:innen erhalten Einblicke in die Beweggründe der Tat (à la „25-Jährige erstochen: Schwester-Killer hatte Liebeskummer“, „Sie ließ ihn abblitzen„), wodurch diese legitimiert und gleichzeitig von einer Mitschuld der Opfer ausgegangen wird. Durch diese verdrehte Darstellung werden Femizide mithilfe weniger Zeilen zu Sozialporno-Thrillern, zu Verbrechen mit mehreren Blickwinkeln, mehreren Schuldigen. 

Sexismus in der Werbung

Sprache hat viel mehr Macht über unser Denken, als uns bewusst ist. Sie bestimmt maßgeblich mit, wie wir die Welt begreifen. Ist die Verharmlosung und Relativierung von Femiziden und die Sexualisierung von Gewalt an Frauen in den Medien also zum Teil mitverantwortlich für die erschreckende Situation in Österreich? Wenn Sprache Realität schafft, wie wirken sich dann sexistische Inhalte in der Werbung auf unsere Wahrnehmung aus? Welche Werte und Verhaltensmuster werden vermittelt und gefördert, wenn man sich Rollenklischees bedient und nach dem Motto Sex sells agiert? 

„Werbung darf nicht aufgrund des Geschlechts diskriminieren (…)“, heißt es in den Richtlinien des österreichischen Werberates. Auf der Suche nach Paradebeispielen für disriminierende Werbung findet sich jedoch ein Fass ohne Boden. Für Aufsehen sorgte etwa die Kampagne der Kärntner Brauerei Hirter, bei der drei nackte Frauen Hirter Fasstypen verkörpern und damit als jederzeit erhältliches Konsumgut inszeniert wurden:

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Quelle: Hirter Bier / M. Steinthaler

Ein weiteres Musterbeispiel für sexistische Sprachwahl und fehlendes Verantwortungsgefühl in der Werbung: Die heiß diskutierte Lidl Werbung „Loch ist Loch”, mit der der Diskonter 2019 für Bagels und Donuts werben wollte. Die Folge: Ein wohlverdienter Imageschaden, entstanden durch eine geschmacklose Kampagne, die durch den harten Backlash auf Social Media nach wenigen Tagen offline genommen wurde. Wenn auch nur kurze Zeit online: Was macht ein Satz wie „Loch ist Loch” mit unserem Frauenbild, unserer Wahrnehmung von Körperlichkeit, von Sexualität, von Grenzen, von Consent? Wie viel von diesem Satz bleibt – einmal veröffentlicht – im kollektiven Bewusstsein hängen? 

Quelle: Lidl

Die Macht der Sprache

Ganz nach dem Willkommen Österreich-Motto #allesnichtmachen gilt es – insbesondere bei digitalem Content – gut nachzudenken, bevor man veröffentlicht. Denn: Uns allen können Fehler passieren. Es gibt jedoch einige Fragen, die man sich stellen kann (und sollte), um diese zu vermeiden:

  • Verwende ich wissentlich unsensible Sprache, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren?
  • Diskriminiere ich mit meinen Inhalten eine Gruppe der Gesellschaft (z.B. aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Sexualität, ihres Aussehens, etc.)?
  • Be(s)tätige ich mit meinen Inhalten Klischees? 
  • Geht der Humor in meinen Inhalten auf Kosten anderer? 
  • Verstärke ich mit meinen Inhalten eine gesellschaftliche Problematik?
  • …lasst euren Ideen freien Lauf: Die Liste der potentiellen Fragen ist lang!

Das Werkzeug Sprache

Content-Handwerker:innen sollten sich diese und ähnliche Fragen stellen, BEVOR Inhalte die Werkstatt verlassen. Wer sich dem Werkzeug Sprache bedient, trägt die Verantwortung, sich dessen Macht bewusst zu sein und diese nicht zu missbrauchen. So können peinliche Fehltritte vermieden und gefährliche Klischees (z.B.: Frauenmord = leidenschaftliches Beziehungsdrama) entkräftet werden. Es fällt sicherlich nicht immer leicht, aber: die eigenen Inhalte zu hinterfragen und stets aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, ist das Fundament für nachhaltig erfolgreiche Content Produktion.

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